Konferenz am Dienstag, 3. Dezember 2024 in Berlin
Am 3. Dezember 2024 eröffnete Dr. Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung, die Tagung „Historische Perspektiven auf Entstehung und Folgen des Heilpraktikergesetzes von 1939“ in der Hörsaalruine des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité.
Die Veranstaltung beleuchtete aus medizinhistorischer, juristischer und berufsverbandlicher Sicht die komplexe Geschichte dieses Gesetzes. Fachkundige Referentinnen und Referenten boten eine differenzierte Analyse eines Gesetzes, das zunächst Hoffnung weckte, letztlich jedoch zur Bedrohung für den Heilpraktikerberuf wurde.
Kernaussagen der Vorträge
Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernahmen, erhielten die Heilpraktiker die Aussicht auf eine rechtliche Grundlage und die Anerkennung ihres Berufsstandes.
Auch zu dieser Zeit war jedoch jede Handlung der Nationalsozialisten eng mit ideologischen Strategien verknüpft. Sie verfolgten mithilfe der Heilpraktiker das Ziel, die präventive Gesundheitsversorgung zu stärken und Lücken in der medizinischen Versorgung kostengünstig zu schließen — insbesondere für weniger privilegierte Bevölkerungsschichten. Doch hinter dieser scheinbaren Förderung verbarg sich ein langfristiges Ziel: die Abschaffung des Heilpraktikerberufs.
Die Kurierfreiheit, die bis dahin galt, wurde als unvereinbar mit der NS-Ideologie angesehen, die eine strikte Kontrolle über alle medizinischen Behandlungen anstrebte. Idealerweise sollten nach diesem Konzept nur noch approbierte Ärzte Patienten behandeln dürfen, und zwar im Rahmen der sogenannten „Neuen Deutschen Heilkunde“ – ein Versuch, Schulmedizin und Naturheilkunde zu vereinen. Zwischen 1934 und 1943 wurde dieses Vorhaben am Rudolf-Heß-Krankenhaus in die Praxis umgesetzt. Approbierte Ärzte integrierten Elemente der Naturheilkunde in ihre Behandlungen und ließen Heilpraktiker zunehmend überflüssig erscheinen. Schließlich wandten sich die Nationalsozialisten auch von der Homöopathie ab, da die Möglichkeit zur Selbstmedikation aus ihrer Sicht zu wenig Kontrolle über die Patienten ermöglichte.
Auch individuelle Schicksale zeigen die ideologischen Motive der Nationalsozialisten. So stand etwa Katharina Schroth, eine bekannte Vertreterin der Naturheilkunde und die Begründerin der Dreidimensionalen Skoliosebehandlung, wegen ihrer Kritik an der Schulmedizin unter ständiger Beobachtung. Ihre Geschäftstüchtigkeit wurde öffentlich diffamiert und als unmoralisch dargestellt.
Das Heilpraktikergesetz von 1939, das u. a. ein Verbot berufsausbildender Maßnahmen enthielt, war der finale Schritt zur systematischen Verdrängung der Heilpraktiker.
In der DDR durften nur diejenigen Heilpraktiker weiter praktizieren, die eine Erlaubnis vor dem 09. Mai 1945 erhielten. Somit blieben lediglich 11 Heilpraktiker kurz vor dem Zusammenbruch der DRR 1989 übrig. Im Gegensatz dazu wurde das Heilpraktikergesetz während der Nachkriegszeit in der BRD durch die Rechtsprechung mit dem Grundgesetz in Einklang gebracht und konnte sich daher trotz dieser historischen Belastung wieder erholen. Der gesellschaftliche Bedarf an Heilpraktikern blieb ungebrochen und trug wesentlich zur Wiederbelebung des Berufsstandes bei.
Fazit
Die Vorträge sowie die abschließende Diskussion zeichneten ein klares Bild: Die Geschichte des Heilpraktikerberufs ist komplex und kann bei oberflächlicher Betrachtung leicht missverständlich erscheinen. Insbesondere die oft übersehene Instrumentalisierung des Gesetzes und damit des Berufsstands durch die Nationalsozialisten hinterließ tiefe Spuren und enorme Fehlinterpretationen nicht nur in der Heilpraktikerschaft. Trotz dieser historischen Belastung blieb eines unerschütterlich – sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart: der gesellschaftliche Bedarf des Heilpraktikerberufes.
Medizinhistorische Untersuchungen konnten auch keine außergewöhnliche oder bedeutsame Verbindung der Heilpraktiker zum Nationalsozialismus nachweisen.
Ebenso fehlen aktuelle wissenschaftliche Belege für antisemitische Einstellungen innerhalb der Berufsgruppe. Die politische Haltung der Heilpraktiker ist ausgewogen und spiegelt die Vielfalt der Gesellschaft wider. Die Tagung in Berlin hat einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung dieses Kapitels der Medizingeschichte geleistet und verdeutlicht, wie historische Ereignisse den Heilpraktikerberuf geprägt haben.
Paulina Pabel, B.A Soziologie und Fortbildungsleiterin FH e.V.
Programmablauf
Wissenschaftliche Leitung und inhaltliche Organisation
Prof. Dr. Thomas Beddies (Charité – Universitätsmedizin Berlin) und
Prof. Dr. Daniel Rottke (Hochschule Neubrandenburg)
Ort: Hörsaalruine des Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité; Charitéplatz 1; 10117 Berlin
Beginn
Grußwort des Schirmherrn der Veranstaltung, Dr. Felix Klein,
Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus
Vorträge
Prof. Dr. Daniela Angetter-Pfeiffer (Wien): "Die Kurpfuscherei als soziales Übel" - deutsche und österreichische Gegenmaßnahmen im Vergleich.“
Dr. Pierre Pfütsch (Stuttgart): „Heilpraktiker im Nationalsozialismus – Stand und Perspektiven der historischen Forschung“
Dr. Marina Lienert (Dresden): „Die versuchte Synthese von Schulmedizin und Naturheilkunde als Basis für das Heilpraktikergesetz von 1939?“
Prof. Dr.Annette Kerckhoff (Berlin) / „Wichtige Frauen in der Naturheilkunde des 20. Jahrhunderts“
Prof. Dr. Katharina Scheel (Kiel): Das Falsche in der Medizin/Katharina Schroth
PD Dr. Florian G. Mildenberger (Berlin): „Das Heilpraktikergesetz 1939 – oder auch, wie tauglich waren die (homöopathischen) Heilpraktiker für die Nazis?“
Ursula Hilpert-Mühlig (München): „85 Jahre Heilpraktikergesetz in der Retrospektive des Berufsstandes der Heilpraktiker“
Prof. Dr. Christof Stock (Aachen): „Zur juristischen Sicht auf das Heilpraktikergesetz und die seine Genese“
Abschlussdiskussion mit Prof. Dr. Martin Dinges (Stuttgart)
05.12.2024, aktualisiert am 12.12.2024
Aus dem Editorial der WIR.Heilpraktiker Januar-März 2025: Eine wesentliche Erkenntnis der Konferenz „Historische Perspektiven
Außerdem empfehlen wir zwei Aufsätze des Dortmunder Rechtsanwaltes Dr. René Sasse zur Entwicklung des Heilpraktikerberufes.
Heilpraktiker sind eine Schöpfung der Nachkriegs-Rechtssprechung
Oftmals wird die These in den Raum gestellt, der Beruf des Heilpraktikers sei ein Relikt nationalsozialistischer Gesetzgebung. Diese Behauptung erweist sich jedoch als falsch.
Tatsächlich sind die Heilpraktiker eine Schöpfung der Nachkriegs-Rechtssprechung. Diese hat den durch die Nationalsozialisten beabsichtigten Untergang des Heilpraktikerberufs aufgehalten und die bis heute gültigen Rechtsgrundlagen geprägt. Dies lässt interessante Rückschlüsse auf die aktuellen Diskussionen zum Heilpraktikerrecht zu.
Ursprünge und anfängliche Entwicklung des Heilpraktikerberufs
https://www.sasse-heilpraktikerrecht.de/2016/03/16/urspruenge-und-anfaengliche-entwicklung-des-heilpraktikerberufs/
Der Heilpraktiker in den Jahren 1933 bis 1945; die Entwicklung in der Nachkriegszeit
https://www.sasse-heilpraktikerrecht.de/2016/04/19/der-heilpraktiker-in-den-jahren-1933-bis-1945-die-entwicklung-in-der-nachkriegszeit/